Stigmatisierung von Krankheiten behindert die Heilung

Migräne Tag, oft verbunden mit Wetterwechsel oder Änderungen im Hormonhaushalt, vor allem einmal im Monat.

Wie alle Krankheiten hat auch diese für mich eine körperliche und eine seelische Komponente – die Frage welche überwiegt oder zuerst da war, könnte vielleicht die Ursachenforschung vorantreiben, aber da das wissenschaftlich sowieso keiner sagen kann, belastet ich mich lieber nicht damit.

Unnötig sind deshalb eigene „Schuldzuweisungen“, dass man es nicht auf die Reihe kriegt und deshalb krank ist – was oft vom außen als auch vom inneren Kritiker hartnäckig suggeriert wird.

Da ich schon oft von anderen gehört habe: „was du arbeitest bei Migräne nicht“ auch mein letzter Arbeitgeber und Kollegen verärgert auf die Tatsache, dass ich mit intensiven Schmerzen zuhause im Bett bleibe, da ich meinen Kopf zum denken nicht nutzen kann.

Ehrlich gesagt, ist es mir als bewusst klar denkenden Mensch unbegreiflich, dass es für manche so unverständlich sein kann und auch noch „persönlich“ genommen wird, aber auch da muss ich sagen man kann man gerne objektiv Meinungen austauschen um auf ein gemeinsames Verständnis zu kommen.

Fragen und respektvolle gemeinsame Lösungssuche wie z. B. flexible, remote Arbeitszeiten wären ja auch schon eine gute Lösung, um den Krankheitsausfall auszugleichen.

Ein Verhalten, das uns allerdings gesellschaftlich und wirtschaftlich nicht weiterbringt – vor allem nicht im Hinblick auf steigende chronische und psychische Krankheiten, Behinderungen und Fachkräftemangel!

Stigmatisierung ist für alle Krankheiten ein reales ernstzunehmendes, Übel unter dem chronisch Kranke enorm leiden, das nicht zu unterschätzen ist und eine Vielzahl von Leiden enorm verstärkt.

Wirtschaftlich betrachtet ist „Stigmatisierung“ ein enormer „Kostengenerator“ für die Arbeitswelt und das Gesundheitssystem, das gesellschaftlich an der Wurzel behandelt werden darf.

Es ist leider nicht realistisch den Betroffenen hierfür wieder das To-Do aufzuerlegen, sich im Rahmen der Behandlung von der Belastung der Stigmatisierung zu distanzieren – denn es wird einem oft absichtlich schwer gemacht wie z. B. im Fall von Mobbing im Job um einen Kranken „einfach und kostenschonend“ loszuwerden.

Aufgrund der Stigmatisierung im Bereich der psychischen Erkrankungen vor allem gesamtgesellschaftlich, als auch in der Arbeitswelt, sind die Schuld- und Schamgefühle im Krankheitsfall aktuell zu einer großen Hürde im Punkto „gesund werden“ und können real lebensbedrohlich sein.

Ja ich rede von Suizid – dessen sind sich viele Führungskräfte und Kollegen, die hier aktiv an Stigmatisierung partizipieren gar nicht bewusst.

Das ist nicht nur unwissend sondern auch gefährlich und sollte bei aktivem, bewussten Mobbing eines Betroffenen, meines Erachtens auch zu Abmahnungen im Arbeitsbereich bis hin zu strafrechtlichen Konsequenzen führen. Denn wenn es zum Suzid dadurch kommt, ist nicht nur die viel gerühmte „Schuld“ des Menschens der das nicht mehr erträgt – sondern auch die, der Menschen der es bewusst ausgelöst haben.

Es ist keine Geheimnis und sollte mittlerweile jedem klar sein: Die Stigmatisierung trägt einen großen Anteil an Dauer und Verlauf einer jeden psychischen Krankheit!

Obwohl im Bereich der Depressionen die allgemeine „Anerkennung“ des Leidens der Krankheit gestiegen ist, gibt es immer noch viele Menschen, die glauben, dass dies keine Krankheit sondern eine „Charakterschwäche“ ist (s. 26% der Befragten beim „Deutschland Barometer Depression 2018-2022„).

Was impliziert das es unmittelbar in der Hand des Betroffenen liegt und eine bewusste Entscheidung ist ob er krank ist oder nicht. Was oft zur Verurteilung führt, dass Betroffene als „zu empfindlich“, zu „faul“ oder „keine Lust“ betitelt werden.

Leider sieht es bei der Akzeptanz anderer psychischer Krankheitsbilder noch um einiges schlechter aus. Hier schreibt die DGPPN (Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e. V.):

„Während sich der gesellschaftliche Umgang mit Depressionserkrankten in den letzten Jahren tendenziell zum Positiven gewandelt hat, ist der Trend für Menschen, die unter einer Schizophrenie leiden, negativ. So lehnen laut einer Studie fast ein Drittel der Befragten Schizophrenie-Erkrankte als Nachbarn ab. Mit zunehmender sozialer Nähe steigen die Ablehnungswerte auf bis zu 80 %. Studien belegen, dass allein das Gefühl, einer Stigmatisierung ausgesetzt zu sein, ausreicht, um die Gefahr eines Suizids bei Betroffenen zu erhöhen (https://www.dgppn.de/schwerpunkte/stigma.html).

Lasst euch gesagt sein und das sage ich als Angehöriger, Freundin von Betroffenen und selbst betroffene einer psychischen Krankheit:

  • es sind „normale“ Menschen wie du und ich!
  • Sie haben sich ihr Leiden nicht selbst ausgesucht!
  • Ihre Krankheit kann zum Großteil gar nicht, nicht sofort, nur manchmal oder immer sichtbar sein!
  • Da die Diskriminierung so groß ist reden sicher nicht viele darüber, also fragt gerne offen und respektvoll nach wen es euch wirklich interessiert und verurteilt und bewertet kranke Menschen nicht einfach.
  • Mitgefühl – aber kein Mitleid – kann auch hilfreich sein.
  • Sich zu distanzieren von Betroffenen mag aufgrund von Angst oder Unwissenheit menschlich normal sein, hilft aber nicht, um gesellschaftlich miteinander zu leben und verschärft das Leiden dieser Menschen nur unnötig.

Persönlich bin ich mit psychischen Erkrankungen aufgewachsen, auch wenn es mir erst viel später als Erwachsene bewusst wurde.

Unter der Unwissenheit darüber habe ich als Kind enorm gelitten. Denn Kinder erklären sich dieses „unsichtbare Leiden“ ganz natürlich mit toxische Glaubenssätzen wie „ich mich schuld“ oder „ich bin falsch“. Glaubenssätze, die ohne genügend Zuwendung und liebevolle Unterstützung im Aufwachsen ebenfalls psychische Krankheiten begünstigen können.

Es hat mich lange Zeit sehr wütend gemacht, dass in meiner Familie nicht bewusst und offen über jegliche Krankheit gesprochen wurde und somit für ein Kind keine Möglichkeit bestand einen Umgang damit, als auch mit den auslösenden Gefühlen, zu finden.

Das traurige ist, und so geht es unendlich vielen Menschen, dass auf den traumatisierten Nachkriegsgenerationen das Stigma von Krankheiten noch schwerer lastete, so das es für viele Menschen – besonders für das „starke“ männliche Geschlecht, unmöglich erschien sich behandeln zu lassen.

Für meine Familie war das Ergebnis ein sehr trauriges, ich habe meinen Lieblingsmenschen der viele Jahrzehnte sehr krank war, lange Zeit dabei zusehen müssen wie er sich lieber mit seiner Krankheit quälte als das er sich behandeln lies. Letztendlich büßte er durch seine psychische Krankheit min. 15 Lebensjahre (im Bezug auf die durchschnittliche Lebensdauer) ein und bekam ganz klassisch Krebs, der ihn noch viele Jahre körperlich quälte bevor er starb.

Man sagt psychische Krankheiten habe viel mit Vererbung zu tun, auch Traumata werden vererbt – somit ist es nun an mir einen „gesünderen“ Umgang mit meiner psychischen Krankheit für mich und meine Familie zu finden. Diese Aufgabe nehme ich sehr ernst und ich merke das es nicht nur mich und meine eigene Familie heilt, sondern auch Generationen vor mir nachträglich erlöst.

Jeder kann es schaffen, mit Behandlung und Hilfe seinen Weg zur „Besserung“ zu finden um das eigene Familieleben mit möglichst viel Liebe und Zuneigung zu füllen, auch wenn es immer wieder andere Phasen gibt.

Es ist wichtig offen, real mit allen Familienmitgliedern über die Krankheit zu sprechen und gemeinsam einen Weg zu finden der es möglich macht alle Bedürfnisse, auch die eines kranken Menschen, zu leben.

Es ist mein Sinn im Leben geworden zu heilen, mein Leben zu gestalten, dass es für mich mit Krankheit und meine Lieben möglichst erfüllt und gesund ist. Dabei ist mir am wichtigsten mein Kind „kindgerecht“ über meine Krankheit zu informieren und ihn frühzeitig alles beibringe an Lebensweisheiten, Achtsamkeit, Selbstfürsorge, Selbstmitgefühl, Selbstwert und Miteinander, das ihn dabei unterstützen kann, möglichst gesund zu bleiben.

Ich darf darauf vertrauen das ich dabei immer mein bestes gebe, auch in Phasen in denen für mich gesundheitlich weniger geht und ich leider auch mal weniger für ihn da sein kann, darf ich mir die Schuldgefühle im Krankheitsfall sparen – denn sie halten mich nur vom gesund werden ab….but „no pressure“!

Im Vergleich mit anderen Familien schneiden wir vielleicht nach außen hin schlechter als Familie ab, da wir weniger Zeit, Ressourcen und Kraft haben für ausgiebige Urlaube, Aktivitäten oder Events aber wir wissen das es uns wichtiger ist uns die Kraft für das liebevolle Mitteinander im „kleinen“ und oft unspektakulären zu nehmen.

Ich darf mich im Rahmen meiner rezidivierenden Depression wohl langfristig dran gewöhnen – wobei es auch nicht ausgeschlossen ist, dass ich die Kurve raus kriege, dass mein Lebensstile ein anderer als früher „ohne Krankheit“ sein wird.

Wohl wissend das die Krankheit mich als Mensch nicht verändert, ich habe einen unantastbaren Wert, wirke viel, tue was ich kann, versorge meine Liebsten und mich nachhaltig mit Liebe!

Sich das anzuerkennen und in sich zu verankern, kann lange dauern, aber es trägt ungemein dazu bei gesund zu werden.

Ich wünsche mir für unsere nächsten Generationen einen menschlicheren Umgang mit Krankheiten und Behinderungen, wir dürfen umdenken und entdecken lernen, wieviel Potenziale, Stärken und Fähigkeiten auch bei Menschen mit Beeinträchtigungen zu finden sind, die eine andere Leistungsgrenze haben – aber dennoch ihren Beitrag leisten können und wollen!